Regierungserklärung der Ministerpräsidentin: „Nordrhein-Westfalen – stark für die Zukunft“

Für die kommende Legislaturperiode hat sich die rot-grüne Landesregierung eine Politik vorgenommen, die Zukunftsfähigkeit gewinnen will, indem sie „vorbeugend, nachhaltig und gerecht ist“. Unter diesen Leitsatz stellt Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) ihre Regierungserklärung, die sie vor dem Landtag abgab. Die Aussprache darüber ist in der morgigen Plenarsitzung vorgesehen.

Zu Beginn ihrer Erklärung begrüßte die Ministerpräsidentin das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum EURO-Rettungsschirm. NRW als Land in der Mitte Europas könne nur dann stark in die Zukunft gehen, wenn die Europäische Union als Ganzes auf Dauer erfolgreich sei.

Einen ersten inhaltlichen Schwerpunkt stellte die Klimaschutz- und Energiepolitik dar. Kraft betonte die Chancen der Energiewende. Der Atomausstieg und die Klimaziele müssten konsequent verfolgt werden: „Die Zukunft gehört den erneuerbaren Energien“. Das Klimaschutzgesetz des Landes sehe vor, dass die Emissionen von Treibhausgas (im Vergleich zu 1990) bis 2020 um mindestens 25 Prozent und bis 2050 um mindestens 80 Prozent verringert werden müssen. Eine solche Politik eröffne neue Produkte und neue Märkte. NRW solle hier Vorreiter sein, zum Beispiel mit einem 250-Millionen-Euro-Impulsprogramm zur Förderung von Kraft-Wärme-Kopplung. Die „InnovationCity Ruhr“ in Bottrop solle eine „europaweite Blaupause für den ökologischen Umbau eines urbanen Viertels sein“, so Kraft. Ergänzt werde dies durch eine landesweite Ausstellung „Klimaschutz-Expo“.

Das Zögern der Bundesregierung dagegen gefährde die Wettbewerbsfähigkeit, kritisierte die Ministerpräsidentin. Notwendig sei ein Masterplan, der den einzelnen Akteuren Handlungsfähigkeit gebe. Ohne einen solchen umfassenden Plan könne das nötige Maß abgestimmten Handelns nicht erreicht werden.

Die Energiewende bringe auch dem Wirtschaftsstandort neue Dynamik, betonte Kraft. In der Industrie seien 13.700 Jobs mehr als vergangenes Jahr zu verzeichnen. Die Landesregierung kämpfe hier um jeden Arbeitsplatz, auch weil daran in der nachfolgenden Wertschöpfungskette Arbeitsplätze im Bereich Kreativwirtschaft, Dienstleistung und Service hingen. Ein besonderer Schwerpunkt sei aber auch die Förderung der mittelständischen Wirtschaft sowie der „innovativen Gründer“. In diesem Zusammenhang unterstrich Kraft, auch die ländlichen Räume in NRW seien „wirtschaftsstark, lebenswert und wichtige Standorte vieler kleiner und mittelständischer Unternehmen“.

Investieren wolle die Landesregierung auch in die Verkehrsinfrastruktur, erläuterte die Regierungschefin und verwies auf den Rhein-Ruhr-Express, die Betuwe-Linie, den Eisernen Rhein, den Bahnknoten Köln, die Strecken Münster-Lünen und Aachen-Köln. Die verschiedenen Verkehrsträger müssten im Zusammenhang betrachtet und die Verkehrsknotenpunkte leistungsfähiger gemacht werden.

In eine Reihe mit der Vorsorge in den Bereichen Klima und Energie stellte die Ministerpräsidentin die Bekämpfung der Armut. Die auseinandergehende Schere von Arm und Reich gefährde „die Grundlagen unserer Gesellschaft, den Zusammenhalt in unserem Land und die Substanz unserer Grundwerte“. Daher wolle die Landesregierung im kommenden Jahr ein umfassendes, bis 2020 angelegtes Handlungskonzept „Gegen Armut und soziale Ausgrenzung“ beschließen.

Wichtigster Bestandteil der Zukunftssicherung und Armutsvorbeugung sei die Bildung, betonte Kraft. Sie begrüßte den im letzten Jahr vereinbarten Schulkonsens, der für Schülerin, Lehrern und Eltern eine verlässliche Grundlage geschaffen habe. Auf dieser Basis seien 42 neue Sekundarschulen und 20 neue Gesamtschulen gerade gestartet, und zwölf Gemeinschaftsschulen seien schon im zweiten Jahr. Jetzt wolle man auch über den Schulversuch Primus erproben, welche Wirkungen das gemeinsame Lernen von Klasse eins bis Klasse zehn habe. Die rund 8.000 Lehrerstellen, die durch den zu erwartenden Rückgang der Schülerzahlen bis zum Jahr 2015 frei würden, sollen für noch bessere Bildung eingesetzt werden. Diesen Weg wolle man mit den anderen Fraktionen gemeinsam gehen, lud Kraft CDU, FDP und Piraten ein. Des Weiteren wolle die Landesregierung bei der frühkindlichen Bildung den Kommunen zu helfen, den Rechtsanspruch auf einen U3-Platz ab August 2013 umzusetzen. Hierzu habe man eine Task-Force eingerichtet. Und schließlich habe man das Ziel, Bildung schrittweise beitragsfrei zu machen, sobald es dafür finanzielle Spielräume gebe.

Um diese Spielräume zu schaffen, „bleibt nachhaltige Haushaltssanierung auch in der neuen Legislaturperiode eine unserer wichtigsten Aufgaben“, so die Ministerpräsidentin. Bis zum Jahr 2020 wolle man die Neuverschuldung auf Null bringen. Diese Schuldenbremse solle auch in der Verfassung verankert werden. Aber nur dann, wenn sichergestellt sei, dass die Kreditaufnahme nicht einfach auf die Kommunen verschoben werde, so Kraft.

Solide Landesfinanzen will die rot-grüne Landesregierung über den Dreiklang aus „Zukunftsinvestitionen“, „gezieltem Sparen“ und „angemessenen Einnahmen“ erreichen. Bis 2017 soll Jahr für Jahr aufwachsend dauerhaft eine Milliarde Euro jährlich eingespart werden. Steuermehreinnahmen sollen in die Senkung der Neuverschuldung fließen. Und im Bundesrat werde die Landesregierung eine Initiative für eine Steuer auf große Vermögen und Erbschaften ergreifen.

In diesem Zusammenhang wandte sich Kraft insbesondere gegen Steuerhinterziehung. Dies sei kein Kavaliersdelikt, sondern Betrug an der Gesellschaft. Daher werde die Landesregierung Steuerflucht entschieden bekämpfen – „am besten durch europaweite wirksame Vereinbarungen, wo nötig aber auch durch unsere schlagkräftige Steuerfahndung“. Damit verbunden ist eine Bundesratsinitiative des Landes NRW für ein Unternehmensstrafrecht, das unter anderem dabei helfen soll, leichter gegen Banken vorzugehen, die ihren Kunden bei der Hinterziehung hülfen.

Eine gute Zukunft für alle bedeute die Stärkung einer Politik der Inklusion. Daher soll der gemeinsame Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Menschen zum Normalen werden, so die Regierungschefin. Die Landesregierung werde einen Gesetzentwurf dazu vorlegen, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Jedenfalls soll Eltern von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in zumutbarer Entfernung eine geeignete allgemeine Schule angeboten werden.

Grundsätzlich will die Landespolitik bei Jugendlichen auf einen Ansatz der Vorbeugung und frühen Intervention setzen, um ein Abgleiten auf den Weg der Gewalt zu verhindern. Hierzu wolle man „kommunale Präventionsketten weiter ausbauen und gesundheitliche, soziale und schulische Angebote, Sport, Kultur und Freizeit besser miteinander verzahnen“. Förderung und Erziehung stehen laut Kraft auch im Mittelpunkt des kommenden Gesetzentwurfs zur Regelung des Jugendarrestvollzugs.

Einen besonderen Problembereich stellt für die Ministerpräsidentin der demographische Wandel dar. Bis zum Jahr 2050 werde die Zahl von Menschen unter 19 Jahren um ein Drittel sinken. Daher habe man den Kinder- und Jugendförderplan auf 100 Millionen Euro jährlich aufgestockt; ein „Familienbericht Nordrehin-Westfalen“ soll weitere Handlungsoptionen aufzeigen. Ergänzend soll künftig ab der 8. Klasse eine gezielte Berufs- und Studienorientierung angeboten werden, die dem Leitgedanken „Kein Abschluss ohne Anschluss“ folge. Und 50 Millionen Euro werde für eine Fachkräfteinitiative bereitgestellt.

Gleichzeitig wolle die Landesregierung über ein Hochschulzukunftsgesetz Spitzenforschung fördern, die Mitbestimmung stärken, um im Fall von Fehlentwicklungen wieder stärker Einfluss nehmen zu können.

Gleichzeitig wolle man forschungspolitische Aktivitäten in einem Rahmenprogramm „Fortschritt NRW“ bündeln sowie den Übergang vom Handwerk in die Universität vereinfachen. Um Studierenden auch in den doppelten Abiturjahrgängen eine gute Grundlage geben zu können, werde NRW seinen Teil bei der Finanzierung des Hochschulpaktes leisten. Vom Bund verlangte Kraft, dass er die Deckelung des Hochschulpaktes aufgebe.

Einen weiteren Schwerpunkt ihrer Regierungsarbeit sah die Ministerpräsidentin in der Bekämpfung von atypischer und prekärer Beschäftigung und Niedriglöhnen. Das unbefristete Normalarbeitsverhältnis soll wieder die Regel werden. Erwerbstätige sollten wieder von ihren Löhnen leben können, Altersarmut sei die Folge von Erwerbsarmut. Daher werde die Landesregierung ihre dementsprechenden Initiativen auf Bundesebene fortsetzen. Gleiches gilt für eine Geschlechterquote in Aufsichtsräten, um „endlich für die volle berufliche Gleichstellung von Frauen“ zu sorgen. Durch präventive Maßnahmen und Quartiersentwicklung – Stichwort „Masterplan Altengerechte Quartiere NRW“ soll sich NRW überdies besser auf eine Gesellschaft einstellen, in der die Menschen immer älter werden. Dazu gehöre auch eine „Allianz für gesunde Arbeit“, so Kraft.

Zukunftsfähigkeit entscheide sich auch daran, dass die Städte, Gemeinden und Kreise finanziell wieder auf eigenen Füßen stehen könnten. Mit dem „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ helfe die Landesregierung bis zum Jahr 2020 überschuldeten und von Überschuldung bedrohten Städten und Gemeinden mit insgesamt 5,85 Milliarden Euro. Den Durchbruch werde man nur schaffen, wenn der Bund finanziell wieder mehr in die Pflicht gehe.

Mit Blick auf die für den inneren Zusammenhalt notwendig Sicherheit kündigte die Regierungschefin an, dass bei der Polizei die altersbedingt ausscheidenden Beamtinnen und Beamten durch jährlich 1.400 Polizeianwärter für den gehobenen Dienst ersetzt werden sollen.

Am Herzen lag ihr, künftig jährliche ein „Woche des Respekts“ durchzuführen, in der für gegenseitige Achtung geworben werden soll: „Der Respekt muss aus der Mitte der Gesellschaft kommen.“ Damit will Kraft insbesondere auf den Anstieg der Gewalt gegen Polizei und Rettungskräfte, von brutalen Attacken auf Wehrlose in Bussen und Bahnen reagieren.

Den Schutz der Opfer von Straftaten will sie dadurch verbessern, dass sie in den Gesetzen zum Strafvollzug wie auch zur Sicherungsverwahrung deutliche gestärkte Rechtspositionen gegenüber Tätern und Justiz erhielten. Auch der Kampf gegen den Rechtsextremismus müsse verstärkt werden, und zwar vorbeugend vor allem bei jungen Menschen.

Eine parteiübergreifende Kommission soll über eine Reform der Landesverfassung beraten, um über die Themen Wahlalter (dieses soll auf 16 Jahre gesenkt werden) und Volksbegehren (dieses soll einfacher möglich sein) zu beraten. Gleichzeitig will die Landesregierung über eine „Open Government-Strategie“ neue Möglichkeiten der Beteiligung im digitalen Zeitalter ermöglichen. Mehr teilhabe und Integration soll auch für die Menschen aus den fast 200 Ländern gelten, die derzeit in Nordrhein-Westfalen leben, In diesem Zusammenhang kündigte Kraft an, in allen 54 Kreisen und kreisfreien Städten kommunale Integrationszentren aufzubauen. Es sei ein wichtiger Schritt, dass vor wenigen Tagen in NRW als erstem Bundesland der islamische Religionsunterricht gestartet sei.

facebooktwittergoogle_plusmail

Das könnte Sie auch interessieren